Neuigkeit
"MINNE" Live in der AES
Förderverein der Albert-Einstein-Schule holt „Mittelalter“ in die Schule
„Herr von Falkenstein“ lautete das erste Lied und ward zugleich die Einleitung in das Thema durch die darin beschriebene Bezirzung von Mann und Frau. Das Märchenhafte der Geschichte sollte von Anbeginn für Ruhe im Vortrag sorgen, in den Klang einführen und die Zuschauer auf die Reise zu Pferd, in teils edlen Kleidern und in die oftmals standesgemäß unterschiedliche Stellung von Frauen und Männern in Burgen, an Höfen, auf dem Lande und in Dörfern wie auch in die damalige Zeit einstimmen.
Der Minnesänger, Harfenist und Barde Holger Schäfer war aus der Nähe von Göttingen angereist und der Bitte der ihn schon seit Jahren in ihrem Musikunterricht vorstellenden Lehrerin Frau Nathalie Baron spontan vor fünf Wochen gefolgt, ihren Kurs zu begeistern. Sowohl Herr Schäfer als auch der Förderverein der AES haben spontan „Ja!“ zu dem ungewöhnlichen Vorhaben gesagt.
Das Lied des frühesten überlieferten deutschen Minnesängers „Der Kürenberger“ mit dem Titel: „Ich zoch mir einen valken“ führte in den sprachlichen Aspekt des Themas ein. Hier hatte Herr Schäfer durch eine Simultanübersetzung von Mittelhochdeutsch zu Hochdeutsch ein erstes „Einfühlen“ in die Sprache der Stauferzeit ermöglicht. Die in dem Lied portraitierte Thematik von Zuneigung, sich umeinander bemühen (durch Hege und Aufzucht des Falken), dann aber der Verlust des Falken, durch seine Reise in fremde Länder, spiegelt eines der wichtigsten Themen im Minnesang wieder: Sehnsucht nach einem fernen geliebten Partner. Womöglich ist es eine Allegorie für einen Ritter, der schließlich seine Herzensdame verlässt, und dann auf einen Kreuzzug geht.
Auf die immer wiederkehrende Symbolik des Falken in der Literatur wies Frau N.Baron hin und insbesondere auf die des edlen Tieres als „Umschaltstelle“ im Geschehen einer Geschichte wie auch in dem für die italienische Literatur imposanten Werk Boccaccios namens „Decamerone“. Hier fanden erstmals fächerübergreifende Informationen ihren Einzug in die Verknüpfung mit unterrichtlichen Inhalten wie es über den ganzen Vortrag hinweg der Fall war.
Da die Ursprünge für die Themen des deutschen Minnesanges in Südfrankreich liegen, bietet Holger Schäfer einen kleinen Ausflug in die Sprache des Alt-Provenzalischen- Bernard de Ventadour wird zu Gehör gebracht. Sehnsucht nach dem Unerfüllbaren klingt an. Das Thema der „Hohen Minne“.
Beim Lied „Under der linden“ von Walther von der Vogelweide erklärte Holger Schäfer erstmals den Unterschied zwischen seinem Instrument „Cythara anglica“ mit ihren Darmsaiten und anderen von ihm mitgebrachten sowie der Tradition der heutigen Instrumentenbauer.
Zudem erläuterte er seine Aufführungspraxis für die Begleitmusik: Er nutzt vor allem die in der damaligen Musik als „vollkommen“ erachteten Intervalle Quarten, Quinten und Okataven für die Begleitung des Gesanges. Terzen und Sexten, sonst wichtiger Bestandteil von harmonischer Begleitung, werden vernachlässigt. Frau N.Baron griff diesen Aspekt auf und moderierte über zum Musikunterricht, in dem derzeit der Fokus auf den vornehmlich geistlichen Gesängen innerhalb der gregorianischen Chorälen lag und damit die Bedeutung der Kirche für die Entwicklung der Musik betonte.
„Die Trappgans“ des „Mönch zu Salzburg“ stellte als satirisches, unterhaltsames Werk innerhalb des späten Minnesangs einen Gegenpol zur kirchlich starren und eher kargen Musik dar. Die schon bekannte Thematik des entweichenden Falken wird in einen Schwank umgewandelt, denn der Falke wird von einer Gans entführt, wie es im Lied heißt. „Blondel“ sang Schäfer, begleitet auf der Tenorblockflöte durch Frau N.Baron, im Anschluss.
Richard Löwenherzens „Klage“ folgte quasi als Kulturkolorit. Schäfer berichtete allgemein vom Leben im 13. Jahrhundert, der Gefangennahme Löwenherz‘, den Kreuzrittern, dem Unter-den-Tisch-Trinkens der Richter Löwenherzens auf der Burg Trifels sowie der Vermischung von Dichtung und Wahrheit. Auch konnte er damit belegen, dass Minnesang vor allem auch eine Dichtung des höheren Adels war, nicht nur die Kunst von Berufssängern.
Das Lied „Du bist mein, ich bin dein“ diente daraufhin als Hör- und Sprach-Such-Aufgabe für die Schülerinnen und Schüler, die zuvor in die sprachlichen Feinheiten durch den Barden eingeführt worden waren und ihre neu erworbenen Kenntnisse bei extra eingebauten Aussprachefehlern des Sängers anwenden durften.
Ulrich von Lichtensteins Lied „Minnewund“ wurde anschließend mit Tenorblockflöte dargeboten, wobei Schäfer auf den ersten „Ich-Roman“ der Geschichte zu sprechen kam.
Neidhart von Reuentals „Mutter-Tochter“ Lied bereitete den Schülerinnen und Schülern sichtlich Freude, da sie wiederum in den Vortrag eingebunden wurden und vermeintliches Rollenverhalten von Müttern und Töchtern damals nachvollziehen sollten, wenn es darum ging, sich dem reizvollen und damit zugleich „bösen“ Verführer Ritter Neidhart zu verwehren oder hinzugeben. Auch spielte der Aspekt der „Dummheit von Dörflern“ der damaligen Zeit, die von vermeintlich klügeren „Burglern“ oft vorgeführt wurden und diesen jedoch in nichts nachstanden, eine Rolle und wurde keck wie borniert durch Schäfer vermittelt, sodass herzlich gelacht werden konnte im Auditorium. Der hier durch Komik, Tumult, Dramatik, und Unverschämtheit sehr unterhaltsame Aspekt der Literatur innerhalb des Minnesangs wurde dadurch eindrucksvoll dargestellt und mit „Tom und Jerry“-artigen Assoziationen in die heutige Zeit transportiert.
In „Vil lieber grüesse süesse“ von Oswald von Wolkenstein stellte der heutige sehr erfolgreiche Minnesänger Schäfer die fantastische Sprachgewalt des damals äußerst bedeutsamen Musikers, Dichters und Sängers dar. Seine Wortschöpfungen, die an Kreativität kam zu überbieten waren, mimten nahezu wie heutige gut erdachte Rap-Texte an. Als Schäfer den eigentlich uralten Text auf kunstvolle Weise in Rap-Manier vorführte, klatschten viele Schüler begeistert dazwischen.
„Saltarello“ bildete als Spielmannstanz mit der Ganassiflöte und Harfe den Abschluss zweier einander sehr zugewandten Profimusiker dar, die auf unterhaltsame, kurzweilige und informative Weise ihre Zuhörer in den Bann des Mittelalters ziehen konnten.
Schäfer war wichtig aufklären, was man glaubte, was Minnesang war und demgegenüber klar zu formulieren, dass es zugleich eine Gesellschaftsform und eine Art „Kulturwettbewerb“ darstellte. Er wollte andeuten, dass Minnesänger der damaligen Zeit zum einen wirklich in ihrer Seele durch meist verbrämte Liebe gelitten haben müssen, andererseits aber oft auch unterhaltsam und witzig sein konnten. Nicht nur Berufssängern, sondern auch höher gestellte Adelige und Dichter haben sich miteinander gemessen, denn schließlich sangen sie voreinander quasi im ständigen Wettstreit und damit gleichsam vor fachkundigem Publikum. Das „Duellieren“ auf höchster Gefühlsebene, das Sich-Einander-Zuneigen auch ohne Berühren-Dürfens, ohne Miteinander-Sein-Dürfens, insbesondere wenn man standesartig unfassbar weit voneinander entfernt war- all‘ dies können sich heutige Jugendliche kaum noch vorstellen. Ebenso wenig können sie sich vorstellen, dass Musiker heutzutage so sehr für ihr Instrument und ihre Berufung „brennen“, wieviel Geld sie für „ihr Schmuckstück“ auszugeben bereit waren und sind, dass es immer noch Instrumentenbauer mit derartigen Spezialisierungen gibt wie auch, dass Holger Schäfer wie auch Frau N.Baron schon immer für ihren Weg alles Mögliche (auf)zugeben bereit waren. Dies erfuhren die Schülerinnen und Schüler des Grundkurses Musik in der sich an den zweistündigen Vortrag anschließenden Fragerunde ebenso wie auch die mittlerweile als hoch zu bezeichnende Medienpräsenz des Minnesängers: Die ersten Preise bei den Minnesänger-Wettbewerben der Jahre 2008 und 2012, Auftritte in den Fernsehshows „Sag die Wahrheit…“, „NDR am Nachmittag“, den Formaten „Planet Wissen“ und „Clarissa trifft“ oder als ausführender Musiker des bald neu auf den Markt kommenden Videospiels „Knights Templar“ von Michael Firmont. Zudem übt Schäfer immer noch aus Leidenschaft seine Tätigkeiten als Musikschullehrer, Ensemble- und Chorleiter aus und als Mitglied des Trios „Trigon“ erfährt er national wie international Anerkennung, zuletzt sogar für eine ihrer CD beim Radiosender des HR als „CD der Woche“.
Auf Nachfrage ihrer Musiklehrerin Frau N.Baron stimmten die Schülerinnen und Schüler begeistert überein, dass sie von dem äußerst „unlangweiligen“, mitreißenden, kreativen und informativen Vortrag mehr als überrascht waren, dass sie viel mitgenommen hätten und viele der während der Musikstunden immer wieder eingeflossenen Aspekte nun als Ganzes begriffen- vor allem dank der überzeugenden, herzlichen, charismatischen und „echten“ Darstellung Holger Schäfers, den die AES hoffentlich zukünftig öfter für Vorträge oder Konzerte begrüßen können wird!